Die Gene sind schuld!
Gesund und schlank dank “DNA-Diät”?
Walter F. muss eine Speichelprobe abgeben, auch Blut will man von ihm haben. Ein Messgerät, das er sich um den Hals hängt, wird jeden seiner Schritte aufzeichnen. Für den übergewichtigen Münchner IT-Experten ist das eine ganz neue Erfahrung. Dennoch hat er sich darauf eingelassen. “Ja, am Anfang ist es schon ein mulmiges Gefühl, dass man so viele Daten abgeben muss”, räumt er ein. “Aber mein Ziel ist es eigentlich, langfristig ein Idealgewicht zu erreichen.”
Die Idee: Personalisierte Ernährungsempfehlungen
Die Teilnehmer müssen eine Blutprobe abgeben.
Walter F. ist einer von 1.200 Probanden, die so überwacht werden. Wissenschaftler der TU München analysieren die Daten. Sie sind an einer europaweiten Ernährungsstudie beteiligt, die den Namen “food4me” trägt. An dem EU-finanzierten Projekt beteiligen sich insgesamt 25 Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die Probanden kommen aus ganz Europa. Mit den gesammelten Daten wollen die Forscher personalisierte Ernährungsempfehlungen entwickeln.
Denn sie wissen: Es gibt nicht die eine Diät, die bei allen wirkt. Über Gesundheit und Körperfülle einer Person entscheidet eine Kombination aus individueller Veranlagung und persönlicher Lebensweise. Das Zusammenspiel von Genen, Ernährung und Lebensweise ist komplex, doch mittlerweile haben Biowissenschaftler zahlreiche Erkenntnisse zusammengetragen. Food4Me ist ein erster Feldversuch.
Gene haben großen Einfluss
Das FTO-Gen steuert im Gehirn unser Hunger- und Sättigungsgefühl.
Im Blut der Probanden untersuchen die Wissenschaftler, wie es um die Gesundheit der Teilnehmer bestellt ist. Das verraten zum Beispiel die Cholesterin- und Blutzuckerwerte. Mit den Speichelproben hingegen wollen sie ins Erbgut der Studienteilnehmer blicken. “Ich würde mal vermuten, dass etwa die Hälfte aller Gene, die wir im Genom haben, mit Ernährungsfaktoren im Wechselspiel stehen”, sagt Hannelore Daniel, Professorin an der Technischen Universität München und deutsche Projektleiterin von Food4Me.
Noch stehen die Forscher ganz am Anfang. Aber fünf wichtige Gene haben sie schon entschlüsselt. Zum Beispiel das sogenannte FTO.Gen. Im Gehirn steuert es unser Hunger- und Sättigungsgefühl. Menschen mit einer ungünstigen Variante haben mehr Hunger und einen Hang zu fettem Essen. Die Folge: Sie nehmen leichter zu.
Trägt auch Walter F. diese ungünstige Genvariante in sich? Fest steht: Als IT-Berater sitzt er viel, bewegt sich eher wenig. Er ernährt sich so wie die meisten Europäer: “Ich gehe auch regelmäßig in die Kantine oder wenn dann irgendwelche Feiern sind, gibt’s auch mal Kuchen oder Plätzchen”, erzählt er. “Aber bei den anderen Kollegen, das ist das, was für mich so überraschend ist, schlägt das nicht so groß an wie bei mir!” Liegt der Grund dafür in seinen Genen?
Fernanalyse von persönlichen Daten
Die Auswertung des Fragebogens zur Ernährung.
Zusammen mit Blut und Speichelproben hat Walter F. einen Online-Fragebogen über seine Lebens- und Ernährungsgewohnheiten abgegeben. Die erste Analyse der Forscher ergibt: Er isst zu viel Fett, zu viel Salz, zu wenig Ballaststoffe. Außerdem müsste er sich viel mehr bewegen. Ein Ergebnis, das Walter F. so nicht erwartet hatte. “Bei der Bewegung war es für mich zu erwarten, aber bei den Ernährungsvorschlägen bin ich eigentlich relativ überrascht, weil man denkt, man ernährt sich ausreichend gesund!”
Die gute Nachricht: Die ungünstige Variante des Sättigungsgens hat er nicht. Aber drei andere problematische Genvarianten. Eine lässt ihn Folsäure nicht gut aufnehmen, eine Substanz, die vor Herz-Kreislauferkrankungen schützt. Außerdem hat er eine Genvariante, die ein erhöhtes Risiko für Diabetes mit sich bringt. Daher sollte er bei den Fetten und Kohlenhydraten zurückhaltend sein. Zudem kann er Omega-3 Fettsäuren nicht so gut verarbeiten und sollte sie deshalb verstärkt aufnehmen, etwa mit fettreichem Seefisch. Walter F. ist zwar froh, dass man so viel aus seinen Genen lesen konnte, sagt aber auch: “Es ist relativ erschreckend, dass man den Nachweis hat, dass der normale Stoffwechsel nicht so funktioniert, wie man es sich vorstellt.”
Forschung steht noch am Anfang
Die Forscher allerdings sagen selbst: Nur fünf entschlüsselte Genvariationen sagen noch wenig aus, denn es könnte über 10.000 geben, die unsere Ernährung und unser Gewicht beeinflussen. Die Studie bringt die Forscher trotzdem voran, so Hannelore Daniel, denn sie erfahren viel über ihre Probanden: “Wie akzeptieren es die Leute, dass man hier eine Genotypisierung durchführt? Wie weit sind sie bereit, bestimmte Informationen zur Verfügung zu stellen? Sind sie am Ende auch eher bereit, die Empfehlung umzusetzen, wenn wir sie auf so einer individuellen Ebene ansprechen?”
Offensichtlich heißt die Antwort bislang: Ja. Walter F. zumindest hat sein Leben geändert. Er hat seine Ernährung umgestellt und bewegt sich mehr. Seinen Bewegungsmelder nutzt er weiterhin, die Daten muss er jede Woche ins Labor übertragen, ebenso weitere Blutproben abgeben. Das Ergebnis nach fünf Monaten ist erstaunlich: Acht Kilogramm hat er abgenommen und zehn Zentimeter Bauchumfang verloren. “Ich bin positiv überrascht, dass man innerhalb so kurzer Zeit so viel erreichen kann”, freut sich Walter F. Und damit ist er nicht allein. Nur wenige Teilnehmer brechen die Studie ab. Vielleicht sind die Überwachung und der Blick in unsere DNA also wirklich ein wichtiger Schlüssel zu einem gesunden und langen Leben.